Kein «Mut» zu Transparenz in der Digitalpolitik?
Die Bundesbeauftragte für den Datenschutz hat Nachbesserungen bei der elektronischen Patientenakte (ePA) gefordert. Laut Medienberichten verlangt Louisa Specht-Riemenschneider detailliertere Möglichkeiten für die Patienten, Zugriffsrechte auf einzelne Dokumente in dem digitalen Speicher festzulegen.
Die EU sehe eine feinere Einstellungsmöglichkeit vor, als das in der deutschen Patientenakte der Fall sei, so die Datenschützerin. Sie erinnerte daran, dass auch in Deutschland ursprünglich eine dokumentengenaue Grundeinstellung vorgesehen gewesen sei. Das sei aber «wieder ein Stück weit zurückgedreht» worden, kritisierte sie.
Die seit April bundesweit laufende Einführung der ePA soll bis Oktober abgeschlossen sein. Für Arztpraxen wird der Einsatz dann obligatorisch sein (wir berichteten). In dem zentralen System sollen alle persönlichen Gesundheitsdaten eines Patienten enhalten sein, von Diagnosen, Laborbefunden und verordneten Medikamenten über Röntgenbilder bis hin zu OP-Berichten.
Specht-Riemenschneider erwäge, die Patientenakte selber gar nicht zu verwenden, heißt es in einer Agenturmeldung. Dass beispielsweise sensible Gesundheitsdaten in falsche Hände geraten könnten, habe sie ausdrücklich nicht ausgeschlossen; Technik sei nie zu hundert Prozent sicher. Sie werde die Entwicklung genau beobachten und halte sich die Entscheidung explizit offen.
Ginge es nach Schleswig-Holsteins Justiz- und Gesundheitsministerin Kerstin von der Decken, dann hätte die Datenschutzbeauftragte dieses Wahlrecht gar nicht. Die CDU-Politikerin sprach sich kürzlich dafür aus, das Widerspruchsrecht bei der ePA abzuschaffen. Laut Kieler Nachrichten sagte von der Decken im Innen- und Rechtsausschusses des Landtags:
«Die elektronische Patientenakte hat ein unglaubliches Potenzial. Das Beste wäre, wenn es überhaupt kein Widerspruchsrecht gibt und automatisch alles in die elektronische Patientenakte hereinkommt.»
Die Ministerin hatte in dem Ausschuss über die Messerattacke am Hamburger Hauptbahnhof berichtet. Ein automatisches Befüllen der ePA und den Austausch von Gesundheitsdaten sehe sie auch im Kontext psychischer Erkrankungen als hilfreich an, so die Zeitung.
In dieser Sichtweise wird sie von ihrer Kabinettskollegin, Innenministerin Sütterlin-Waack unterstützt, die auf eine bessere Vernetzung der Behörden drängt. Datenschutz und die ärztliche Schweigepflicht seien dabei die großen Probleme. Man müsse dafür sorgen, dass sensible Daten über Menschen mit psychischen Krankheiten weitergeleitet werden dürften, zitiert sie der Deutschlandfunk.
Von «populistischen Holzhammermethoden» spricht Netzpolitik.org angesichts des lauter werdenden Rufes, Menschen mit psychischen Erkrankungen stärker zu überwachen. Das Portal plädiert für eine sachlichere Diskussion. Dagegen will die hessische Landesregierung bei ihrer geplanten Meldepflicht von psychisch Kranken Datenschützer einfach übergehen.
Digitalisierung ist eines der zentralen Themen im aktuellen politischen Universum. Das betrifft nicht nur Gesundheitsdaten, sondern fast alle gesellschaftlichen Bereiche. Insofern sind Entscheidungen dieser Art von enormer Bedeutung und von großem öffentlichen Interesse.
Im Ausschuss für Digitales und Staatsmodernisierung des deutschen Bundestags werden hingegen künftig die Sitzungen grundsätzlich unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden. Nachdem der Bundestag im Dezember 2022 den Grundsatz der Nichtöffentlichkeit von Ausschusssitzungen aufgegeben hatte, tagen inzwischen wieder mehr Ausschüsse nicht-öffentlich. Ein Argument ist die angebliche Angst, der AfD dort eine Bühne zu geben.
Auch wenn Vorsitzender Durz und Obmann Schätzl für den Digitalausschuss betonen, es habe sich durch die Verfahrensregelung eigentlich nichts geändert, denn das sei vorher auch gängige Praxis gewesen, so gab es bisher doch einige Livestreams. Möglicherweise sind derartige Einblicke beim Aushandeln von Überwachungs- und Zensurmaßnahmen nicht mehr erwünscht.
In einem Offenen Brief mit dem Titel «Mut zu Transparenz» haben 21 Organisationen, darunter der Chaos Computer Club, Digitalcourage e.V., LOAD e.V. und Amnesty International, ihre Besorgnis zum Ausdruck gebracht. Es entstehe der Eindruck, dass man vorhabe, selten oder nie von der Möglichkeit der Öffnung Gebrauch zu machen. Die Autoren schreiben:
«Wie der Koalitionsvertrag richtig erkennt, ist Digitalpolitik Macht- und Gesellschaftspolitik.»
Die Gestaltung der Digitalisierung gehe alle an, berühre Grundrechte und müsse deshalb öffentlich diskutiert werden können. Sie fordern die Verantwortlichen auf, den Digitalausschuss grundsätzlich öffentlich tagen zu lassen. Alles andere bedeute einen klaren Rückschritt für Transparenz und demokratische Teilhabe.